Es ist eine Haltung – kein perfektes Verhalten

Von Marina Hoffmann.

„Nun bin ich schon seit einem Jahr dabei, den bindungsorientierten Ansatz zu verstehen und in meinen Alltag zu bringen. Doch je öfter ich scheitere, umso mehr setzt mich das Thema bindungsorientierte Erziehung unter Druck und macht mich einfach nur fertig! Scheinbar funktioniert es bei manchen und das ist schön und gut, aber ich schaffe das niemals.“

Kennst du einen dieser Sätze und hast ihn vielleicht auch schon selbst gedacht? Du bist auf die bindungsorientierte Erziehung gestoßen und warst einfach nur begeistert und berührt. Es hat so viel Sinn gemacht und du wolltest nun einen neuen Weg mit deinen Kindern gehen. Du warst hochmotiviert und wolltest ab jetzt nur noch liebevolle Worte benutzen, deinem Kind Empathie entgegenbringen und nicht mehr drohen.

Doch was ist dann passiert?

Der Alltag kam und deine Ausgeglichenheit war wie weggeblasen. Der Uhrzeiger lief am Morgen genauso schnell weiter und die Dinge mussten erledigt werden. Die verständnisvollen Worte deinem Kind gegenüber blieben im ganzen Stress entweder aus oder stießen auf taube Ohren. Das Kind kooperierte trotzdem nicht.

Oder du hast versucht, den Wutausbruch deines Kindes zu „begleiten“ statt ihn wie sonst gewohnt zu verbieten oder zu bestrafen, doch nun schien dieser Wutanfall gar nicht mehr aufzuhören und alles lief dir gefühlt völlig aus dem Ruder.

„Ist das nun richtig?“, fragtest du dich vielleicht verunsichert. Wenn du dein Umfeld oder deine eigenen Eltern fragen würdest, wäre die klare Antwort: „NEIN, du musst das Kind schon noch erziehen!“

Vielleicht geht es dir gerade genauso. Vielleicht fragst du dich, ob und wie es weitergehen kann. Es wäre vielleicht leichter, einfach auf deine Eltern zu hören und nach ihren Ratschlägen zu erziehen, obwohl du es ja eigentlich anders machen wolltest. Du fühlst dich ohnmächtig und ratlos.

Zunächst einmal möchte ich dir sagen: Das ist normal! Und du bist nicht allein in diesem Zustand. Hunderten von Eltern geht es gerade ganz genauso wie dir.

Dein Gefühlszustand und die Überforderung sind Teil des Weges und bedeuten nicht, dass du gescheitert bist, du es einfach nicht kannst oder etwas mit deinen Kindern nicht stimmt. Und so normal es auch ist, es muss nicht so bleiben.

Und genau deshalb möchte ich dir hier ein paar wichtige Gedanken mitgeben.

  1. Neue Erziehungsansätze auszuprobieren und damit auch noch gegen den Strom seines Umfeldes zu schwimmen ist wirklich unglaublich schwierig und frustrierend. Du führst nämlich nicht nur deine eigenen, inneren Kämpfe gegen deine Erziehungsmuster und musst neue, alternative Lösungen zum klassischen „Drohen“ finden. Zusätzlich dazu musst du dir nun nämlich auch noch die Kommentare, Ratschläge oder sogar Kritik von deiner Umgebung anhören. Bitte halte einmal inne und gestehe dir selbst ein: „Das ist extrem anstrengend! Es kostet mich gerade unglaublich viel Kraft, meine innere Klarheit zu finden, wie ich wirklich erziehen möchte und gleichzeitig gesunde Grenzen zur Außenwelt zu schaffen, die mein Inneres am liebsten für mich sortieren möchten.“ Suche dir jemandem, um darüber zu sprechen. Versuche deine innere Zerrissenheit in Worte zu fassen, es auszudrücken. Durch das Sprechen kann es leichter werden und deine Gedanken sortieren sich wieder neu. Dein Gegenüber sollte am besten einfach da sein, zuhören, ohne zu verurteilen.

  2. Tief sitzende Prägungen lassen sich nicht so schnell auflösen. Und wenn du dich oft selbst noch wie ein Kleinkind fühlst, dass von seinen Emotionen überrannt und bestimmt wird, dann darfst auch du dir Zeit zum Reifen geben. Nimm den beurteilenden, belehrenden Finger herunter, den du nun gegen dich selbst richtest. Nimm stattdessen einen neugierigen, beobachtenden Blick dir selbst gegenüber ein. Wenn du mal wieder zu harsch reagierst, nimm dir Zeiten der Reflektion, indem du mit dir selbst ohne Verurteilung sprichst: „Oh, ich merke, in der Situation xy spannen sich meine Hände immer sehr stark an und mein Kopf wird ganz heiß. Mein Körper ist da in einer Stresssituation und dann reagiere ich total unbeherrscht.“ Dein Körper braucht Regulation, keine Schikane. Auch dies ist womöglich ein absolut neuer Weg, den du kennenlernen darfst. Ohne die Verbindung zu dir selbst wirst du dein Kind nur sehr schwer durch starke Emotionen begleiten können.

  3. Es geht bei bindungsorientierter Erziehung nicht um perfektes Verhalten – weder das deines Kindes noch dein eigenes. Es geht nicht darum, dein Kind nie wieder zu verletzen. Nie wieder die Beherrschung zu verlieren, nie wieder Druck auszuüben. Die perfekten, fehlerlosen, sündlosen Eltern gibt es nicht – zumindest kenne ich sie nicht. Es geht bei bindungsorientierter Erziehung viel mehr um eine Haltung. Eine grundsätzliche Einstellung, an der du dich und auch dein Kind sich festHALTEN können. Was ich damit meine:

    Wenn du deine Beherrschung verlierst, übernimm die Verantwortung dafür und mache dein Kind nicht mehr dafür verantwortlich, wie es bei der klassischen Erziehung oft der Fall ist.

    Statt zu sagen: „Ich bin wieder sauer geworden, weil du wieder ungehorsam warst. Würdest du einmal hören, was ich sage, würde es nicht so schwer sein.“ Kannst du lieber in Verbindung gehen und sagen: „Ich war heute wieder sehr frustriert und da habe ich auf dich geschimpft. Das hat dich glaube ich erschreckt. Weißt du, mein Körper macht in der Wut echt viele Sachen, die ich gar nicht möchte und das bedauere ich. Aber weißt du, ich bleibe trotzdem noch deine Mama/dein Papa. Schau mal, wir haben dasselbe Muttermal, wir gehören immer zusammen, auch wenn wir sauer aufeinander sind. Und ich möchte lernen, mich um mich zu kümmern, damit ich mich dann auch besser um dich kümmern kann.“

Was hast du hier anders gemacht?

  • Du hast deine eigene Frustration ins Gespräch gebracht und sie normalisiert. Denn ja, es natürlich völlig normal, dass auch DU Frust empfindest.

  • Du verbindest dich mit deinem Kind, denn dein Kind sieht nun, dass ihr beide Frust empfindet und dass es bei euch beiden okay ist.

  • Du hast bedauert, dass dein Frust dazu führte, dein Kind anzuschimpfen oder es grob zu behandeln.

  • Du hast Verantwortung für deinen Körper und deine Emotionen übernommen.

  • Du hast deinem Kind etwas gegeben, an dem es sich weiterhin festhalten kann und hast damit mögliche Trennungsgefühle überbrückt: Du bleibst weiterhin seine Mama/sein Papa (3. Bindungsebene: Loyalität und Zugehörigkeit), du hast dasselbe Muttermal (2. Bindungsebene: Gleichheit). Auch wenn sich dein Kind nicht immer sofort an diese Worte erinnern wird, darfst du es deinem Kind gerne immer wieder sagen. So kann es sich innerlich daran festhalten, dass ihr immer verbunden bleibt.

Natürlich ist mit diesen Impulsen noch lange nicht alles gesagt. Neue Wege zu gehen erfordert meiner Überzeugung nach, Zeit und Kraft zu investieren. Von Vorbildern zu lernen. Neue Selbstregulations-Strategien zu entwickeln. Sich vielleicht sogar helfen zu lassen.

Überfordere dich aber nicht und lasse immer wieder den Druck heraus, alles perfekt umsetzen zu müssen. Reifwerdung braucht seine Zeit – nicht nur die der Kinder, sondern auch deine.

 

Marina Hoffmann ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern (7 und 4 Jahre). Seit 2022 lebt sie mit ihrer Familie auf Reisen. Als Elternmentorin und Kongressveranstalterin inspiriert und unterstützt sie christliche Eltern dabei, ihre Kinder bindungsorientiert zu erziehen. Alle Infos zu ihren Angeboten findest du unter www.das-weiche-herz.de. Außerdem gibt sie auf Instagram und in ihrem Podcast „Das weiche Herz“ Einblicke in ihre Arbeit und ihren Alltag als Reisefamilie.

 

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