Vom Tiefpunkt zur Berufung

Von Vanessa.

31. Dezember 2019, 04:02 Uhr – Ich sitze in unserem Badezimmer und kann es kaum glauben: der Teststreifen in meiner Hand zeigt zwei Striche. Zwei! Acht Monate lang gab es immer nur einen Strich und nun… Es scheint unwirklich und ich schleiche mich wieder zurück ins Bett, wo mein Mann liegt und sich wundert, warum ich mitten in der Nacht so lange weg bin. Leise flüstere ich ihm die Nachricht ins Ohr: „Wir bekommen ein Baby!“

Eine unbekannte und spannende Reise in ein neues Jahr konnte beginnen!

Der erste Termin beim Frauenarzt, zu dem Zeitpunkt ohne Corona und dadurch mit Ehemann möglich, zeigte deutlich den Herzschlag von diesem kleinen Wunder – unser Sams! Ich bekam direkt ein Beschäftigungsverbot, was ich sehr genoss – Zeit für mich und Zeit für das Baby! Alles, was mit Schwangerschaft und Baby zu tun hatte, kam auf die Bücherliste und wurde gelesen, wöchentliche Fotos von all den körperlichen Veränderungen gemacht, Eltern, Geschwister und Freunde angerufen, dass es „geklappt“ hat, Babysachen und Schwangerschaftsmode gekauft. Das, was immer unwirklich erschien, war real und zum Greifen nah! Die Wochen schienen sich wie Gummi zu ziehen - doch dann wurde alles anders.

 

14. Februar 2020, die 12. Schwangerschaftswoche brach an und wir konnten wieder zu einem Ultraschalltermin beim Frauenarzt gehen. Doch dieses Mal sprach unser Arzt kaum ein Wort mit uns, ließ den Ultraschall nur kurz an und sprach dann die Worte aus, die niemals ein Elternpaar hören möchte: „Ich kann keinen Herzschlag feststellen. Das Baby hat bereits vor drei Wochen aufgehört zu leben.“ Mein Mann brach sofort in Tränen aus und ich hab es nicht wirklich verstanden. Was sollte das bedeuten? So etwas passiert nur anderen, aber uns doch nicht?! Warum habe ich nichts mitbekommen? Ich wollte nur noch nach Hause, aber die ganze Prozedur ging jetzt erst los… stundenlanges Warten im Krankenhaus, um operiert zu werden, da ich eine Ausschabung und nicht mittels Medikamenten darauf warten wollte, dass mein Körper mein totes Baby abstößt. Um 9:00 Uhr war ich im Krankenhaus, um 19:00 Uhr wieder zu Hause… ein langer, kräftezehrender Tag lag hinter uns und hat unsere Welt wieder auf den Kopf gestellt.

Mit was für Dingen wir plötzlich konfrontiert waren: das Beschäftigungsverbot war sofort aufgehoben – wie erkläre ich das meinen Kollegen?; wir mussten allen Bescheid geben, die von dem Baby wussten, dass es die 12 Wochen nicht überlebt hat – „Hättet ihr das mal für euch behalten, bis die 12 Wochen um sind!“ „Was hat Vanessa falsch gemacht, weshalb sie das Baby verloren hat?“ und am schlimmsten waren die Zweifel: „Was bin ich für eine Mutter, wenn ich überhaupt eine bin, die ihr Kind nicht am Leben halten kann?“ „Was stimmt nicht mit meinem Körper?“ „Warum trifft es uns?“ „Was hat Gott sich dabei gedacht, dann hätte ich nicht schwanger werden sollen, wenn das Kind eh nicht leben darf.“ „Was hat das für einen Sinn, Gott?“ „Bin ich es überhaupt noch wert „Frau zu sein“?“ „Kann ich meinem Körper überhaupt wieder vertrauen?“

Aber auch mein Mann hat gelitten und gezweifelt und sich gefragt, was das alles soll! Er konnte seine Familie nicht beschützen.

„You give and take away. My heart will choose to say, Lord, blessed be your name.“ Auf einmal bekam dieses Lied für uns eine völlig neue Bedeutung. Der Hintergrund des Liedes war uns bekannt, aber dass das Lied für uns „real“ wurde, traf uns dennoch mitten ins Herz. Nur vorweg: zumindest für mich hat es lange gedauert, dass ich Gott wieder vertrauen und mit Überzeugung dieses Lied singen konnte.

 

11. April 2020, 4:47 Uhr – Ich sitze in unserem Badezimmer und kann es kaum glauben: der Teststreifen in meiner Hand zeigt zwei Striche. Zwei! Nach nur einem Zyklus war ich wieder schwanger und die Ängste waren sofort da!

Meine neue Frauenärztin (Wechsel wegen eines Umzugs in eine neue Stadt, wodurch wir den Verlust auch besser verarbeiten konnten) wollte mir das nicht so recht glauben. Da nach der Ausschabung kein Ultraschall zur Kontrolle gemacht wurde, war meine Ärztin skeptisch; auch war der HcG-Wert viel höher als normal. Aber der Ultraschall zeigte es: es gab zwei Babys! Ich fiel völlig aus den Wolken und mein Mann, der wegen Corona nicht mitdurfte und zu Hause gespannt auf mich gewartet hat, auch. Zwei – wie soll das klappen?! Wenige Tage später sollte ich nochmal zur Kontrolle kommen und wieder der Schock: es gibt nur noch ein Baby, das zweite Baby hat es nicht geschafft. Sobald ein Arztbesuch anstand, saß ich ängstlich und voller Sorgen im Wartezimmer und konnte erst entspannen, als ich den Herzschlag sehen konnte. Es waren 9 Monate Schwangerschaft mit Ängsten und Sorgen, ob alles gutgehen sollte. Der eigentliche Geburtstagsmonat September unseres ersten Kindes traf mich dann nochmal… der Verlust dieses Kindes, aber schwanger mit einem neuen Kind… wenn ich dieses nicht verloren hätte, gäbe es das neue Kind nicht. Es gab so viele gegensätzliche Gefühle den beiden Kindern gegenüber, so viele Anklagen Gott gegenüber, aber die Dankbarkeit, dass wir uns auf dieses kleine Wunder freuen durften! Im Dezember 2020 war es endlich soweit und wir konnten unsere wunderbare Tochter in den Armen halten! Was für ein Geschenk! Gott hat uns so wunderbar beschenkt!

Nur leider brach meine Welt noch wenigen Wochen erneut auseinander. Lange wollte ich mir die Situation nicht eingestehen, aber irgendwann war ich mit meinen Kräften am Ende und ich gestand meinem Mann und besonders mir ein, dass ich eine Wochenbettdepression hatte. Was für ein Tiefpunkt! Ich fühlte mich als keine gute Mutter, ich konnte den Haushalt nicht so händeln, wie ich es von mir kenne und entsprechenden Anspruch an mich habe, ich fühlte mich überfordert, alleingelassen, traurig, kraftlos und war selbst von mir enttäuscht. Meine Hebamme nahm mich nicht wirklich ernst, sondern schob die Einsamkeit lediglich auf die Coronabeschränkungen und ansonsten „mache ich ja einen guten Eindruck“. Die Krankenkasse lies mich alleine:“ „Suchen Sie sich selbst eine Haushaltshilfe, aber achten Sie drauf, dass die Möglichkeit besteht, dass sie über uns abrechnen kann. Oder Ihre Eltern fahren immer 500km und helfen Ihnen.“ Was sollte ich tun?! Gott sei Dank! Meine Eltern, besonders meine Mutter, kam wirklich für viele Monate alle zwei Wochen zu uns und half mir im Haushalt, bei der Betreuung unserer Tochter, beim Einkaufen und was alles anfiel. Keine Selbstverständlichkeit, aber Gott schickte Hilfe, als ich nicht mehr weiter wusste!

 

Als es mir besser ging, drehten sich die Rädchen in meinem Kopf. Es müsste doch eine Möglichkeit geben, Frauen in solchen Phasen ihres Lebens zu helfen. Da wir einige Zeit an der holländischen Grenze wohnten und wir erfuhren, dass es in den Niederlanden normal ist, solch eine Wochenbettbetreuung zu haben, suchte ich, ob es so etwas oder etwas ähnliches auch in Deutschland gibt. Dadurch erfuhr ich von dem Beruf der Mütterpflegerin und der entsprechenden Ausbildung. Mein Tiefpunkt wurde zur Berufung! Ich bin Gott rückblickend dankbar, dass ich all diese Tiefpunkte in den letzten Jahren erleben konnte, um gestärkt aus der Sache herauszugehen und anderen Müttern unterstützend zur Seite stehen kann. Egal, ob während der Schwangerschaft, im Wochenbett, bei Erkrankung oder wann immer Hilfe benötigt wird – ich bin für die Frauen da und helfe dort, wo die Frau es wünscht: leichte Haushaltstätigkeiten, Einkauf, Betreuung älterer Geschwisterkinder, Betreuung des Babys, Tipps und Tricks zum Babyhandling, Säuglingspflege, Stillen, Tragen uvm. Und bei all dem ist die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse in den meisten Fällen teilweise oder ganz gesichert.

Ich wünsche dir, dass du erkennst und dir eingestehen kannst, wenn du Hilfe und Unterstützung brauchst – um deinetwillen und für deine Familie! Du bist nicht alleine!

Gott segne dich und schenke dir seine Kraft!

Vanessa

 

Vanessa ist Kind des Königs, Ehefrau, Mama von 2 lebhaften Kindern und 2 Kindern im Herzen, Mütterpflegerin, Trageberaterin und Geburtsvorbereiterin. Mehr über ihre Arbeit findest du unter www.mamizeit-luebeck.de.

 

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